Stripped Down
Warum Elon Musks radikale Maßnahmen bei Twitter keine Überraschung sind
Viele Beobachter schauen erstaunt auf das, was der Milliardär Elon Musk mit der Social-Media-Plattform Twitter macht. Nach dem Wirbel um den angekündigten, zurückgenommenen und dann zu einem überhöhten Preis durchgezogenen Kauf herrscht anscheinend Chaos: Als ob Massen-Entlassungen, unbezahlte Rechnungen, politische Schlagseite und technischer Schwierigkeiten nicht genüg wären, beerdigt der Tech-Unternehmer die komplette Marke, deren Begriffe wie „twittern“ und „Tweet“ sogar Eingang in Wörterbücher gefunden hatte. Doch der radikale Neustart als X folgt einem Muster, das Musk auch in seinen anderen Firmen anwendet, zum Beispiel bei SpaceX oder Tesla. Kann man ein soziales Netzwerk aufbauen wie eine Industrie-Unternehmen?
Wer etwas Musks Sicht auf die Dinge lernen möchte, könnte mit Videos des Youtuber Tim Dodd alias The Everyday Astronaut schlauer werden: Zum Beispiel führt der SpaceX-Chef Dott exklusiv über das Produktions- und Test-Gelände des neuen Starship-Systems, mit der Musk eines Tages zum Mars fliegen möchte, und redet über die Entwicklung dieser komplett wieder verwendbaren Rakete, der neuartigen Triebwerke und Start-Infrastruktur. Die Denke des Ingenieurs Musk, das wird deutlich, ist von extremer Reduktion geprägt: „The best part is no part“ und „If things are not failing you are not innovating enough“ sind seine Leitsätze, die sich auch bei Dodds Reportagen wiederfinden. Es fällt nicht schwer, diese Philosophie auch bei Musks Umgang mit Twitter zu erkennen. Doch kann sie beim Umbau eines Social-Media-Netzwerks erfolgreich sein?
Es besteht jedenfalls kein Zweifel, dass der Ansatz bei SpaceX funktioniert: Das Unternehmen landet die ersten Stufen seiner Orbitalraketen Falcon 9 und Falcon Heavy seit Jahren mit bestechender Zuverlässigkeit auf Land und auf Schiffen (hier mehr über den Weg dorthin). Keine Raumfahrt-Agentur, geschweige denn Unternehmen weltweit hat das bislang geschafft oder nur versucht. Das Starship-Programm ist noch radikaler, hier hat Musk selbst die Landebeine wegreduziert; Oberstufe und Booster sollen vom Startturm mit zwei „Chopsticks“ genannten Armen nach der Rückkehr wieder aufgefangen und in wenigen Stunden erneut startbereit gemacht werden. Dass bei der Entwicklung dieses Konzept Prototypen spektakulär explodieren, ist eine logische Konsequenz von Musks zweitem Leitsatz.
Es gibt auch ein Beispiel, bei dem die Radikalität des gebürtigen Südafrikaners nicht aufzugehen scheint: Tesla verzichtete bei der Entwicklung selbstfahrender Autos von Anfang an auf Laser (Lidar), sparte zuletzt auch Sensoren ein, die bislang als unverzichtbar galten, zum Beispiel Radar und Ultraschall. Optische Sensoren und KI-optimierte Software sollen genügen. Die Folge: Tesla bildet mittlerweile offenbar das Schlusslicht in diesem Technologiefeld. Etwas ähnliches scheint sich auch bei Twitter abzuspielen: Viele hochkarätige Entwickler haben das Unternehmen unfreiwillig oder freiwillig verlassen, Google-Cloud-Rechnungen blieben unbezahlt, sogar für Bürokosten wollte Elon Musk nicht aufkommen. Wiederholt sich hier ein Drama?
Die Wahrheit ist: Elon Musk bleibt schwer zu durchschauen; es bleibt unklar, ob X auf lange Sicht Top oder Flop wird. Die Art seiner Maßnahmen bei X-Twitter ist jedenfalls keine Überraschung. Wer mehr wissen möchte: Sascha Lobo hat bei Spiegel Online dessen Motive für den überteuerten Twitter-Kauf bestechend klar seziert. Zudem zeigt Lobo auch die politischen und gesellschaftlichen Gefahren auf, die durch die neue ideologische Ausrichtung von „X“ drohen – Stichwort „Anti-Wokeness“ (der Beitrag befindet sich hinter einer Bezahlschranke, ich empfehle den Euro für 4 Wochen Zugang zu investieren).
Hinweis in eigener Sache: Wir haben unsere Konten bei X-Twitter gelöscht und empfehlen das auch unseren Kunden.
Foto: Steve Jurvetson, Lizenz: Creative Commons