Warum ich als Journalist oft meinen Beruf verschweige
Es gibt diese Situationen: Wenn ich beim Reisen ein Flughafenvisum ausfüllen muss, man beim Smalltalk gefragt wird oder jetzt zuletzt, als dieses fünfjährige Mädchen, Tochter einer Bekannten, vor mit steht: „Was machst Du von Beruf“, fragt mich die Kleine. „Fotograf“, antworte ich. Bei anderen Gelegenheiten sage ich auch „Webdesigner“ oder „Inhaber einer kleinen Agentur für digitale Kommunikation und Content“ – wenn ich versuche, genauer zu sein. Stimmt alles, ist aber nicht die ganze Wahrheit. Denn der Beruf, den ich gelernt habe, und den ich immer noch ausübe, ist Journalist. Früher hätte ich das mit Stolz gesagt: „JOURNALIST“. Heute zögere ich oft oder verschweige es ganz. Warum nur?
Es ist einer dieser Tage, an dem ich im Zug sitze und meine Gedanken schweifen lassen, an dem ich über diese Situation nachdenke. Also: warum sage ich dem kleinen Mädchen nicht, für welchen Beruf ich mich einmal entschieden habe? Vielleicht: Weil ich dann erklären müsste, was man so macht, als „Journalist“. Selbst kleine Mädchen wissen schließlich, wo heutzutage Nachrichten herkommen: aus dem Internet nämlich. Und das gibt es bekanntlich kostenlos fast überall. Das Menschenrecht auf freies Wifi setzt sich gerade durch, gleich nach dem obligatorischen Glas Wasser im Café und dem kostenlosen Toilettenbesuch – letzteres Anrecht ist allerdings auf dem absteigenden Ast.
Ironie beiseite: Das Internet ist eine tolle Sache, für die Menschheit mindestens so bedeutend wie die Erfindung der Dampfmaschine – vielleicht sogar bedeutender: Weil das menschliche Gehirn evolutionär gesehen schon immer das wichtigste Werkzeug war und bislang nichts einen so großen Einfluss auf das Denken genommen hat wie die Allgegenwärtigkeit des Internet. Noch nicht einmal die Einführung des Buchdrucks. Der hat zwar dazu geführt, dass wir ungehindert mit Information konfrontiert werden, und so Renaissance und Entdeckungen befördert. Das Internet aber sorgt dafür, dass wir ungehindert mit uns selbst konfrontiert werden – umfassend und ungefiltert.
Das Internet sorgt dafür, dass wir ungehindert mit uns selbst konfrontiert werden.
Genau dass haben Journalisten bislang stets zu verhindern gewusst. Journalisten filtern, werten, gewichten, unterwerfen Sachverhalte einer Prüfung, tun gemeinhin genau das, was ihnen von bestimmten Kreisen gerne vorgeworfen wird, die die freie Presse für „Fake“ halten: Sie haben eine Agenda. Das kann ich schreiben, ohne gleich Verschwörungstheorien anheim zu fallen, denn Sinnhaftes von Unsinnigem zu trennen oder zumindest, es zu versuchen, ist auch eine Agenda. Und sie verhindert, dass viele von uns sich mit Unsinnigem konfrontieren müssen. Mit so etwas wie Trump und seinen Gefolgsleuten. Manchmal ist es natürlich auch die Agenda von Journalisten, Unsinn zu verbreiten – ich tue mich dann allerdings schwer, das Journalismus zu nennen (denn der korrekte Name ist Propaganda). Aber ich schweife ab …
Tatsache ist, was im Internet häufig zu lesen, zu hören oder zu sehen ist, auf Facebook, auf Twitter und auf den ganzen anderen Plattformen, löst den Journalismus nicht ab, macht Journalisten nicht überflüssig. Es trennt die Welt nur in Sphären: In eine, in der wir Informationen konsumieren, die so weit wie möglich auf Fakten beruhen, nach denen wir Entscheidungen treffen können, die uns langfristig weiterbringen. Und in eine, in der wir mit all dem Blödsinn, „gefühlten Fakten“, Extremismus, Hass, Rassismus und religiösen Wahn umgehen müssen, der schon immer da war und der jetzt in den Echo-Kammern des Web den Sound anschwellen lässt, manchmal zu einer Kakophonie, die einen an der Welt, seinen Bewohnern und der Zukunft der Menschheit zweifeln lässt. Aber wie erkläre ich das bloß einer Fünfjährigen?